Ein Verkehrsunfall auf der Autobahn entstand dadurch, dass die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs unvermittelt
dem vor ihr fahrenden Fahrzeug ausweichen musste, welches ins Schleudern geraten war. Da die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges im Zuge des Ausweichmanövers die Spur nicht halten konnte, überfuhr sie die Begrenzungslinie am linken Rand der Überholspur. Sie kam so zum Stehen, dass das rechte hintere Heck des Fahrzeuges in den Überholstreifen hineinragte.
Die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges aktivierte daraufhin die Warnblinkanlage, zog eine Warnweste an und stieg aus dem Kfz aus. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass weder Personen- noch Sachschäden entstanden waren, stieg sich wieder in das Fahrzeug ein, um die Fahrt fortzusetzen. Die Warnblinkanlage hatte sie noch nicht deaktiviert. In dem Moment kam der Lenker des Klagsfahrzeugs mit einer Geschwindigkeit von mindestens 110 km/h von hinten heran, konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen und kollidierte mit dem Beklagtenfahrzeug.
Der Eigentümer des Klagsfahrzeuges begehrte daraufhin ein Viertel der ihm entstandenen Reparaturkosten. Dies mit der Begründung, sowohl den Lenker des Klagsfahrzeuges als auch die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges treffe ein Verschulden, durch den Stillstand des Beklagtenfahrzeuges habe sich überdies jedenfalls eine außergewöhnliche Betriebsgefahr iSd § 9 EKHG verwirklicht, weshalb eine Haftung der Beklagten Partei nach dem EKHG bestehe.
Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Lenkerin des Beklagtenfahrzeuges treffe kein Verschulden und auch eine außergewöhnliche Betriebsgefahr sei nicht verwirklicht worden, weil das Beklagtenfahrzeug nicht ins Schleudern geraten sei.
Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht bestätigt, welches zudem die Revision für nicht zulässig erklärte, nachträglich aber doch noch zuließ.
Der OGH bejahte im Gegensatz zu den Vorinstanzen die außergewöhnliche Betriebsgefahr und damit auch den Anspruch des Klägers. Dies begründete er wie folgt:
Eine Gefährdungshaftung nach dem EKHG sei zwar ausgeschlossen, wenn ein unabwendbares Ereignis vorliege. Diese Regel greife aber nicht, wenn der Unfall unmittelbar auf eine außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist. Eine solche sei dann anzunehmen, wenn die mit dem Betrieb eines Kfz notwendigerweise verbundene Gefahr durch Hinzutreten besonderer Gefahrenmomente vergrößert werde. Das sei aufgrund der hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn insbesondere auch dann zu bejahen, wenn ein Kraftfahrzeug dort zum Stillstand komme, sofern dies nicht bloß durch die Verkehrslage bedingt gewesen sei. Somit sei im vorliegenden Fall die Gefahr gegenüber jener, die notwendigerweise mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges einhergeht, zweifelsfrei erhöht gewesen.
Im Hinblick auf die Schadensteilung führte der OGH aus, dass selbst grobes Verschulden eines Unfallbeteiligten gegenüber einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr in der Regel nicht derart überwiege, dass die Haftung der beklagten Partei zur Gänze entfalle. Vielmehr sei in so einem Fall, wie auch in dem vorliegenden, ein Anspruch des Klägers auf ein Viertel des Schadens durchaus angemessen.
Der OGH gab somit der Revision des Klägers Folge (OGH 29.4.2021, 2 Ob 217/20f).