Der Versicherte hat mit dem Versicherer einen Lebensversicherungsvertrag mit Gewinnbeteiligung samt einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen,
welche am 1.10.2007 begonnen hat. Er hat Gesundheitsfragen objektiv unrichtig beantwortet, weil er seinem Berater vertraute, dass er Fragen nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden des „Gemüts“ nur dann mit „Ja“ zu beantworten habe, wenn es sich um „gravierende Krankheiten“ gehandelt habe. Daher hat der Versicherte die Gesundheitsfrage mit „Nein“ beantwortet, obwohl er vor Vertragsabschluss an neurologische Beschwerden litt, weshalb er auch in ärztlicher Behandlung war. Nachdem der Kläger einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit aufgrund eines „Burn out-Syndroms“ gestellt hatte, trat die Versicherung vom Vertrag zurück, weil der Kläger die nunmehr behaupteten leistungsauslösenden Beschwerden verschwiegen und damit gegen seine vorvertraglichen Anzeigepflichten verstoßen habe. Der Versicherte hat diesen Vertragsrücktritt mit einer Feststellungsklage bekämpft. Der Oberste Gerichtshof hat die wesentlichen Rechtsfragen in diesem Verfahren (7 Ob 21/18s) wie folgt beantwortet:
1.) Wenn der Versicherer bereits den Rücktritt des Vertrages erklärt hat, hat der Versicherte ein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren, das Bestehen des Versicherungsvertrages zu klären.
2.) Bei der Beantwortung von Gesundheitsfragen ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Es kommt nicht nur auf die Erheblichkeit der einzelnen Krankheiten an, sondern auch auf die Häufigkeit des durch die behandelten Krankheiten geprägten Gesamtbildes des Gesundheitszustandes. Beschwerden und Schmerzen sind bei entsprechender Frage auch dann anzeigepflichtig, wenn sie noch nicht eindeutig einer Krankheit zugeordnet worden sind. Auch ohne Vorliegen einer ärztlichen Diagnose müssen Symptome angezeigt werden, wegen der sich der Versicherte in ärztlicher Behandlung begeben hat. Ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich.
Auch wenn sich der Versicherte auf den Rat eines Dritten verlasen hat, exkulpiert ihn das nicht. Daher verletzt der Versicherte objektiv die Obliegenheit, wenn er die Gesundheitsfrage (im guten Glauben) unrichtig beantwortet.
3.) Nach dem für die Lebensversicherung geltenden § 163 VersVG kann der Versicherer wegen einer Verletzung der dem Versicherungsnehmer beim Abschluss des Vertrags obliegenden Anzeigepflicht vom Vertrag nicht mehr zurücktreten, wenn seit dem Abschluss drei Jahren verstrichen sind. Das Rücktrittsrecht bleibt aber bestehen, wenn die Anzeigepflicht arglistig verletzt worden ist.
Der Oberste Gerichtshof vertritt die Rechtsansicht, dass diese Rücktrittsfrist in § 163 VersVG auch für die – im VersVG nicht geregelte - Berufsunfähigkeitsversicherung gelte, weil die Interessenslage bei der Lebens- und Krankenversicherung gleich gelagert sei wie bei der Berufsunfähigkeitsversicherung. Daher sei von einer unechten Lücke auszugehen, welche wegen ihrer Berührungspunkte zur Lebensversicherung durch analoge Anwendung des § 163 VersVG zu füllen sei.
Daher konnte der Versicherer drei Jahre nach Abschluss des Versicherungsvertrages nicht mehr den Vertragsrücktritt wegen Verletzung der Anzeigepflicht erklären.
4.) Allerdings bleibt das Rücktrittrecht des Versicherers länger als drei Jahre nach Vertragsabschluss bestehen, wenn der Versicherte die Anzeigepflicht arglistig verletzt hat. Arglist setzt bedingten Vorsatz voraus. Der Versicherte muss durch die Falsch- oder Nichtbeantwortung der Frage auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen wollen und sich bewusst sein, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen wird, wenn er die Wahrheit sagt. Die Beweislast für das Vorliegen und die Voraussetzung für die Arglist trifft aber den Versicherer. Es besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Versicherungsnehmer, der Antragsfragen bewusst unrichtig beantwortet hat, regelmäßig mit Arglist in Bezug auf die Willensbildung des Versicherers handelt. Ob der Versicherte die Gesundheitsfrage arglistig falsch bzw nicht beantwortet hat, ist eine Tatfrage.